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Filmtext

Unterwegs und verloren

Gewaltig dehnt sich unter dem blauen Himmel Südkaliforniens eine Landschaft aus, die hauptsächlich aus Staub, Geröll und bizarren Felsformationen besteht. Nur vereinzelt stehen hier einige Palmen im Wind. Weder Menschen noch Tiere scheinen sich in dieser rauen, unbelebt wirkenden Natur aufzuhalten, die sich als Joshua Tree Wüste zwischen Los Angeles und dem Death Valley erstreckt. Western-Experte Budd Boetticher hat hier viele seiner Filme gedreht und seine Helden durch diese fast unwirkliche Landschaft geführt. Auch „Twentynine Palms“, das autobiographisch inspirierte Roadmovie des französischen Autorenregisseurs Bruno Dumont („La vie de Jésus“, „L’humanité“), ist in dieser archetypischen Natur angesiedelt. In dem existentiellen, der körperlichen Erfahrung verpflichteten Filmdrama des ehemaligen Philosophieprofessors, das nach seiner umstrittenen Aufführung im Jahre 2003 bei den Filmfestspielen in Venedig nun endlich auch in deutschen Kinos zu sehen ist, metaphorisiert sie die enge Verzahnung von Reinheit und Gewalt, Leben und Tod. 



Dumonts minimalistische, in langen Einstellungen inszenierte Amour fou beobachtet fast absichtslos und ohne dramaturgische Verstärker das Liebespaar Katia (Katia Golubeva) und David (David Wissak) auf ihren Wegen rund um den titelgebenden Durchgangsort Twentynine Palms. Auf Motivsuche bewegen sich der amerikanische Fotograf und seine schweigsame Begleiterin in einem roten Hummer-Jeep durch das unwegsame Gelände, an dessen Rändern die Zivilisation ihre Spuren eingegraben hat. David und Katia sind allein zu zweit und zu zweit allein. Immer wieder werden sie von der fremd anmutenden Landschaft förmlich verschluckt oder tauchen geläutert und wie Neugeborene aus ihr auf. Dabei schwankt ihre labile, krisenhafte Beziehung, deren Konflikte im Unbestimmten bleiben, zwischen Anziehung und Abstoßung, zwischen Leerlauf und gesteigerter Intensität, die der Film vor allem in seinen ungeschönten, hart und direkt wirkenden Sexszenen vermittelt



Die seelenlose Mechanik der Körper und die offene sowie latente Gewalt im geschlechtlichen Vollzug sind in „Twentynine Palms“ sowohl Ausdruck einer (auch durch Sprachbarrieren) gestörten Kommunikation, die von hysterischen Ausbrüchen und Handgreiflichkeiten begleitet wird, als auch Darstellung einer lustvollen Überwindung dieser Sprachlosigkeit im Stöhnen und Schreien der sexuellen Ekstase. Die wenigen Augenblicke der Erfüllung und einer fast schon symbiotischen Übereinkunft, die durchaus Züge einer kurzweiligen Entspannung trägt und von ferne Motive aus Antonionis „Zabrisie Point“ aufgreift, wirken dabei wie eine Flucht, die sich jedoch nicht aufrechterhalten lässt, weil alle Aktivitäten richtungslos und alle Konflikte unausgesprochen bleiben. „Es gibt nichts zu verstehen“, sagt Katia einmal. Bis sich schließlich die Zeichen der Bedrohung verdichten und sich die angestaute Spannung in einem extremen Gewaltexzess entlädt.



Dumont inszeniert diesen Schock als amerikanischen Alptraum, dessen blutige Spur sich längst durch die populären Genres der Filmgeschichte zieht, diese gewissermaßen aufruft. Wenn er dabei Hitchcocks „Psycho“ zitiert, verwandelt sich der Zustand existentieller Rohheit in Schizophrenie. Deren verstörender Einbruch bleibt freilich abrupt, als müssten die erzählerische Statik und die aufgestaute innere Bewegung implodieren.



26. Juni 2007

 



 

Wolfgang Nierlin

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