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Filmtext

Romantik und deren unheimliche Spurenelemente

 


Seit längerem beschäftigen sich einige Filmemacher des Heidelberger Medienforums mit einem Projekt zur Frühromantik. Überraschenderweise musste man feststellen, dass Romantik zurzeit en vogue ist.


  


Was aber erzählt nach 200 Jahren noch von einem romantischen Lebensgefühl?


  


…..  Ein Strand, sanfte Wellen, ruhiges Meer, ein weiter Horizont und barfuß ein junger Mann, der mit verschränkten Armen in die Ferne blickt.



Der Mann in der linken Bildhälfte betont eine vertikale Linie. Strand und Horizont hingegen zwei horizontale Parallelen. Die geometrische Struktur gibt der unteren Bildhälfte eine Dominanz, eine Schwere, die von der Leichtigkeit des Wolkenhimmels nur scheinbar aufgehoben wird. Das Licht, diese graublaue Stunde, scheint wie gedehnte Zeit, lässt den Tag ununterscheidbar.



Der Mann in einer kurzen schwarzen Hose, in einem weißen Hemd, mit kurzem Haar. Fast ein wenig androgyn erscheint die Gestalt. Nur eine Rückenansicht, die einen Blick sich vorstellen lässt, von dem man aber nichts weiß.



In der Mitte des Bildes: zwei weiße Balken, ein Logo, implantiert. Zeichen, die den Blick verstellen, sich nicht erklären.



Das Bild ist ein Plakat des Theaters Heidelberg, was das Motto „Die Sehnsucht, ein anderer zu sein“ präsentieren soll und zu einem Tag der offenen Tür im Herbst 2005 einlädt. Grundlage des Plakates ist ein Photo von Felix Grünschloß.



Es geht um Romantik.


Was aber ist an der Romantik aktuell? Wenn das Motto „Die Sehnsucht, ein anderer zu sein“ nicht bloß ein phantasieloser Gedanke sein soll, der sich einem in Heidelberg aufdrängt, dann beschreibt dieses Plakat weit mehr als es eine Werbeagentur und ihre Auftraggeber vielleicht wissen wollen. Ein gelungenes Gelegenheitsphoto, ein deplaziertes Logo und fertig ist die message, dass von der Sehnsucht dort erzählt wird, wo dieses Logo wieder erkannt wird.


   


Das ist Werbung und doch ist die Romantik, die hier verkauft wird, mehr als nur eine spröde Gedankenbrücke.


  


Romantik ist aktuell. Dieses Lebensgefühl von Zerrissenheit ist auch heute präsent. Nicht die Inszenierung der Klischeevorstellung von Romantik oder die Idee von einem style, der Momente der Romantik zitiert – etwa die Rückenansicht eines Betrachters auf das Meer – sind Äußerungen dieses Lebensgefühls, sondern die Bruchstellen, in denen Widersprüche und Irritationen wiederzuerkennen sind.


  


Und diese Bruchstellen haben einen realen Hintergrund, der im Bild aber nicht beschrieben wird. Ein Mann verschränkt die Arme vor der Brust, eine eher skeptische Haltung gegenüber den Versprechungen, die in der Ferne entdeckt werden können. Ein junger Mann, der sehr wohl wissen wird, dass die Hoffnungen und Ansprüche aus vergangenen Jahren heute eher spröde als verheißungsvoll erscheinen. Freizügigkeit, Emanzipation, Identität, Freiheit, Freude: sie haben Platz auf einem mobil-telephone oder der Kreditkarte. Aber der Zusammenhang, der Sinn scheint bei alledem abhanden gekommen zu sein.


  


So wie um 1800 die Napoleonischen Armeen Europa überrannten und neue Ordnungen definieren sollten, scheint man im Pentagon und in Washington die globalen Zusammenhänge neu zu skizzieren. Globalisierung ist den einen eine Hoffnung, denen aber, die sie unmittelbar zu spüren bekommen, ein Alptraum. Und in Europa sind es eben die Menschen, die diesem jungen Mann so ähnlich sind, die sehr wohl spüren und wissen, dass sie ihre gegenwärtigen Wünsche und Sehnsüchte mit ihrer Zukunft bezahlen müssen. So wie die Romantiker des frühen 19.Jahrhunderts sehr präzise die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umwälzungen in ihrer Zeit wahrnahmen, so ohnmächtig wie sehend erleben heute junge Menschen die Zersplitterung der eigenen Perspektiven von Arbeit und Lebensentwürfen.


  


Die ruhige See und ein leerer Horizont – eine Weite, in der man sich verlieren möchte, eben weil sie nichts verspricht, weil die Leere so weit scheint wie die des eigenen Lebens.


  


Es ist das Gefühl einer Generation in Europa, der sich einerseits Möglichkeiten eröffnen wie sie noch nie da gewesen sind und die andererseits weiß, dass ihre Zukunft noch ungewisser ist als die jeder Kriegsgeneration. Jene wussten noch um das Motiv, dass, wer überlebt, es einmal besser haben sollte. Doch die, die niemals hungern mussten, wissen, wie einen gerade dieses Motiv zur Fratze werden lässt. Diese Generation glaubt nicht mehr an die Versprechungen der Moderne, glaubt nicht an die großen Entwürfe. Und so gestalten diese Menschen auch nicht die politischen Zusammenhänge in Parteien, Kirchen, Initiativen oder anderen gesellschaftlichen Institutionen mit, sondern suchen die Fluchtpunkte in der Kunst. Dabei hat man den Eindruck, dass die Kunst gegenüber diesen Prozessen selber nur allzu ratlos ist. Trotzdem erhofft man sich, dass zumindest der Kulturbetrieb die Möglichkeit für eine existenzielle Nische eines Broterwerbs eröffnet. Eine berufliche Tätigkeit, der zumindest die Idee von Sinn und beruflicher Perspektive innewohnt.


  


Doch gerade an den Bruchstellen zwischen kommerzieller Notwendigkeit und gelungenen Bildern zeitgemäßen Empfindens ist die Wahrnehmung des gesellschaftlichen Monströsen und der Blick in einen Nirgendwo der Kunst ein Moment, in dem die Ideen der Romantik aktuell, ja unheimlich erscheinen.


 


         Norbert Ahlers

 



 


 


 


 

Norbert Ahlers

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