logo HOME //KARLSTORKINO //AKTIVE MEDIENARBEIT //ÜBER UNS //IMPRESSUM  
   
 HOME    KARLSTORKINO   AKTIVE MEDIENARBEIT   ÜBER UNS   NEWS[LETTER]   GÄSTEBUCH   SPENDEN  
 Über uns/angebote   technikverleih   seminare   kritiken & essays   dunkelkammer 




Hier finden Sie Texte, die über unser Filmprogramm hinausgehen, insbesondere Kritiken, Besprechungen, Quellen und weitere Materialien.

Filmtext

Zwischen Symbolismus und Reflexivität
Zwei Wirklichkeitskonzepte des ethnographischen Films
Zwischen Symbolismus und ReflexivitätRobert Gardner einerseits, David und Judith MacDougall anderseits repräsentieren nahezu konträre Positionen des ethnographischen Films. Gemeinsam ist ihnen jedoch das Bewusstsein für die ästhetische, genuin filmische Dimension ihrer Arbeit, durch die sie das Selbstverständnis der Visuellen Anthropologie bedeutend erweitert haben.



Längst umfasst das vielfältige Genre des ethnographischen Films mehr als Produkte filmischerDilettanten, die etwa den Bau eines Männerhauses bei den Iatmul Papua-Neuguineas in Echtzeitzeigen, weil es das positivistische Wissenschaftsideal so verlangt. Längst ist dieser positivistische Realismus anderen Repräsentationsmodalitäten der Wirklichkeit gewichen.



Anhand der Werke Robert Gardners und David MacDougalls lassen sich die Pole der Realismuskonzeptionen in diesem Filmgenre veranschaulichen. Beide haben einige Jahre in Afrika gearbeitet, ihr Umgang mit der nicht-filmischen wie mit der filmischen Realität könnte jedoch nicht unterschiedlicher sein: ein symbolischer Realismus, durch den sich die Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft auflösen, bei Gardner und ein reflexiver, dokumentarischer Realismus bei MacDougall. Nachdem Gardner 1963 «Dead Birds» über die Dugum Dani im heutigen Irian Jaya gedreht hatte, wandte er sich mit den Filmen «Rivers of Sand» (1974) über die Hamar Äthiopiens und «Deep Hearts» (1981) über die Fulaniin Niger afrikanischen Kulturen zu. Später konzentrierte er sich auf Indien, wo er mit «Forest of Bliss» (1986) einen seiner stärksten Filme in Szene setzte. Beeindruckend ist vor allem die visuelle Kraft seiner Filme. Ohne viel Worte gelingt es ihm, auf emotionaler Ebene eine Atmosphäre kultureller Authentizität hervorzurufen.



Dies ist auch die Grundlage dafür, dass seine Filme auf der Ebene des filmischen Texts eine besondere Poesie entwickeln, durch die er unterCineasten weltweite Beachtung fand. Die kulturellen Realitäten der Gefilmten waren ihm dabei nie sehr wichtig. Viel bedeutender war für ihn, universelle Fragen - wie etwa in «Dead Birds» die Beziehung des Menschen zum Krieg, in «Rivers of Sand» die Unterdrückung der Frau oder in «Forest of Bliss» das elementare Verhältnis von Leben und Tod - zu thematisieren. Er verfolgte die Absicht, die Realität gleichermassen zu transzendieren und sich tieferen Wahrheiten zu nähern.



Die Anwesenheit als Abwesenheit



 Dies führte dazu, dass ihm von Seiten traditioneller Ethnologen immer wieder vorgeworfen wurde, er ignoriere die nicht-filmische Realität der betreffenden Kulturen. Beispielsweise seien die Dugum Dani in «Dead Birds» keinesfalls so kriegerisch wie bei Gardner. Und im Fall von «Rivers of Sand» kritisierte der bei den Dreharbeiten als ethnologischer Berater tätige Ivo Strecker die idealisierte Darstellung und schuf daraufhin mit dem Film «Sprung über die Rinder» (1975) seine Version der Hamar-Kultur. Gardners Repräsentationen der nicht-filmischen Realität in Frage zu stellen, hiesse jedoch, genau zu wissen, wie die kulturelle Realität einer sozialen Gemeinschaft objektiv beschaffen ist. Welcher Ethnologekann dies aber in Zeiten der postmodernen reflexiven Wende mit Sicherheit sagen?



Da Gardner aber in keinem seiner Filme die Gefilmten selbst zu Wort kommen lässt, den Zuschauern, wenn er sich wie in «Dead Birds» und «Rivers of Sand» eines Off-Kommentars bedient, seine persönlichen Reflexionen näherbringt, ohne dass diese je erfahren, woher er diese Informationen hat, ist die Vermutung gerechtfertigt, dassGardner Universalität mit Eurozentrismus verwechselt. Seine Filme sollten deshalb und weil er seine Anwesenheit als Abwesenheit inszeniert, eher als Fiktions- denn als Dokumentarfilme betrachtet werden. Gardners grosses Verdienst besteht jedoch darin, das Genre des ethnographischen Films für Fragen der Filmästhetik geöffnet zu haben. Durch die Einbindung seiner Filme in das Genre des ethnographischen Films wurden die Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft neu definiert.



Der «innere Kommentar» der Gefilmten




Eine ganz andere Beziehung zwischen nicht-filmischer und filmischer Realität pflegen David und Judith MacDougall. Etwa zur selben Zeit wie Gardner drehten sie «To Live With Herds» (1968) bei den Jhie in Uganda. Nach der Machtübernahme Idi Amins überquerten sie die Grenzezu Kenya und produzierten die «Turkana Conversations» mit den Filmen «Lorang's Way», «The Wedding Camels» und «A Wife Among Wives», alle zwischen 1974 und 1980 bzw. 1981 entstanden. Danach gingen sie nach Australien, drehten Filme mit den und über die Aborigines. Heute machen sie vor allem Filme über Indien. Ihr Werk, insbesondere aber die Trilogie der «Turkana Conversations», ist ein gelungenes Beispiel für ethnologische Filme und die Umsetzung ethnologischer Methodik im filmischen Prozess.



Bereits die Bezeichnung «Conversations» ist unmittelbarer Ausdruck ihres filmischen Ansatzes. Weit davon entfernt, feststehende «objektive» Realitäten zu sein, sind ihre Filme dynamische Produkte, die die soziale und kulturelle Verwurzelung der Filmemacher ausdrücken. So formt sich die Bedeutung eines Films in einer kommunikativen Situation zwischen Filmemacher, Gefilmten und Zuschauern. In diesem Sinne bedienen sich ihre Filme eines hybriden Stils, der sich nicht in herkömmliche Schablonen beobachtender Filme einbinden lässt.



Schon in den sechziger Jahren waren sie sich darüber im Klaren, dass es besonders im Genre des ethnographischen Films auf Grund der politisch-hegemonialen Implikationen der Beziehungen zwischen westlichen Filmemachern undnichtwestlichen Gefilmten von besonderer Bedeutung ist, nach anderen, sensibleren Formen der Repräsentation von «Fremden» zu suchen und die Gefilmten in die Film- und Dreharbeiten einzubinden. Sie gehörten deshalb zu den ersten Filmemachern überhaupt, die - um die Stimmen der «Anderen» in ihren Filmen repräsentieren zu können - den «allwissenden» erklärenden Off- Kommentar durch den sogenannten «inneren Kommentar» ersetzten, durch den die Gefilmten ihre Handlungen selbst «on» kommentierten.



Zugleich ersetzten sie das Voice-over, die simultane Übersetzung der Mono- bzw. Dialoge der Gefilmten, durch Untertitel, und sie setzten Zwischentitel ein, um einzelne Sequenzen miteinander zu verknüpfen. Auf der visuellen Ebene bedeutete dies, das Konzept der beobachtenden Dokumentarfilme des Direct Cinema durch die so genannte teilnehmende Kamera zu überwinden, wodurch sie in exemplarischer Weise die zentrale Methode der Ethnologie, die «teilnehmende Beobachtung», filmisch umsetzten. Dabei bedienten sie sich ähnlicher reflexiver Stilmittel wie Jean Rouch und Edgar Morin bereits in «Chronique d'un été» (1960).



Gleichermassen um den subjektiven Charakter ihrer Filme zu unterstreichen, sind sie in ihren Filmen in der ersten Person präsent, verstehen sich allerdings im Unterschied zu Jean Rouch nicht als Agents provocateurs. Beispielsweise thematisieren sie in der ersten Hälfte von «A Wife Among Wives» (1980) ihre eigenen Probleme, von den Turkana Informationen über eine bevorstehende polygyne Hochzeit zu erhalten. Und wie beispielsweise die schriftlichen Monographien «Tuhami» (1980) von Vincent Crapanzano und die «Moroccan Dialogues» (1982) von Kevin Dwyer lösten sie sich in «Lorang's Way» vom damals dominanten Paradigma der kollektiven undhomogenen Darstellung eines Volkes in der Ethnologie, indem sie die Turkana als Individuen mitpersönlichen Freuden, Ängsten und Nöten zeigten.
Volker Kull

Erschienen am 15.Juni 2001 in der Neue Zürcher Zeitung
Medienforum Heidelberg e.V.
Kommunales Kino/ Aktive Medienarbeit
Marlene-Dietrich-Platz 3
69126 Heidelberg
Kartenreservierung: 06221 / 97 89 18
HOME
KARLSTORKINO
AKTIVE MEDIENARBEIT
ÜBER UNS
IMPRESSUM
DATENSCHUTZ