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Filmtext

Das Leben lernen
Das Leben lernen

 Noch immer gibt es in Frankreich etwa tausend Schulen, die aus lediglich einer Klasse bestehen. Von der Vorschule bis zum Eintritt ins Collège werden in diesen sogenannten „Ein-Klassen-Schulen“ Mädchen und Jungen unterschiedlicher Jahrgänge gemeinsam unterrichtet. Trotzdem musste der französische Dokumentarist Nicolas Philibert lange suchen, um für sein Filmprojekt einen geeigneten Ort, eine überschaubare Klassengröße und vor allem den richtigen Lehrer zu finden. Die Klasse sollte möglichst heterogen sein, damit ein breites Spektrum pädagogischer Arbeit und kindlicher Entwicklung sichtbar würde. Die Kinder sollten aber auch als Figuren identifizierbar bleiben, um über ihre persönlichen Geschichten eine Nähe zum Zuschauer herzustellen. Ganz selbstverständlich besitzt Philiberts preisgekrönter Dokumentarfilm „Sein und Haben“ deshalb eine narrative Form, die die Schule zu einem Schauplatz und die Schüler und Schülerinnen zu Mitspielern macht.

Saint-Etienne-sur-Usson heißt das kleine Bergdorf im Zentralmassiv, das durch seine Abgeschiedenheit und das raue Klima den Intentionen des Regisseurs entgegenkam. Eine eigentümliche Ruhe und Verlassenheit vermitteln die ersten Bilder des Films, der mit einem Schneesturm während des Almabtriebs anhebt. Dann bewegen sich zwei Schildkröten durch ein leeres Klassenzimmer, ein Globus liegt auf dem Fußboden, der Wind rauscht in den dunklen Wipfeln der Tannen. Durch die verschneite Landschaft fährt ein Schulauto, das die Kinder einsammelt und zur Schule bringt, wo der Lehrer sie bereits an der Eingangstür erwartet. Die Jahreszeiten und der Schulweg gliedern den Film und bilden so einen natürlichen Rahmen für die intensive Beobachtung des Unterrichts.

Trotzdem vermeidet Philibert pittoreske Aspekte und eine didaktische Perspektive. Sein Thema ist die Dokumentation mühevoller Lernprozesse und die Erinnerung an ein schwieriges Erwachsenwerden. Geradezu modellhaft entsteht das Bild einer idealen Schule, in der spielerisches Lernen, individuelle Betreuung, gemeinsame Freizeitgestaltung und selbstverantwortliches Handeln untrennbar zusammengehören. Soziale Erziehung meint hier den ganzen Menschen und schließt immer die Verantwortung für den anderen ein.

Auch wenn die Kamera auf Augenhöhe der Kinder ist, zeichnet der Film vor allem das Portrait einer beeindruckenden Lehrerpersönlichkeit. Für Georges Lopez, den Sohn eines andalusischen Einwanderers, ist der Beruf Berufung. Mit natürlicher Autorität und milder Strenge, aber auch mit Ruhe, viel Geduld und psychologischem Feingefühl gelingt es ihm, die Freude am Lernen mit der dafür notwendigen Disziplin zu verbinden. Darüber hinaus schlichtet er Streit, vermittelt zwischen den Kindern und tröstet sie in seelischen Notlagen. Gerade in diesen spannungsgeladenen Szenen entfaltet Philiberts wunderbarer Film eine große emotionale Kraft. Wenn Lopez am Ende des Schuljahrs seine „Schäfchen“ in die Sommerferien entlässt und ihnen dabei gerührt nachblickt, erfährt auch der Zuschauer, was es heißt, von Kindern etwas „hundertfach“ zurückzubekommen.

Wolfgang Nierlin

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