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Filmtext

Im Familiengefängnis

„Auf unsere Grenzen“ lautet das Motto von Joachim Lafosses Film „Nue propriété“, einer „Reflexion über Eigentum“, wie der 1975 in Brüssel geborene belgische Regisseur sagt. Die Demarkationslinien der Besitzungen verlaufen dabei nicht nur äußerlich, sondern auch emotional: Sie umzäunen ein Familienanwesen auf dem Land, dessen Ausmaße lange unsichtbar bleiben, und sie definieren die krisenhaft angespannten Beziehungen der dort lebenden Familienmitglieder zueinander. Die Rollen und Machtverhältnisse sind gewissermaßen umgekehrt, „eine Funktionsstörung“, so Lafosse, hat sich im Familiensystem eingenistet: Ein schon erwachsenes Brüderpaar, die zweieiigen Zwillinge Thierry (Jérémie Renier) und François (Yannick Rénier), die auch im wirklichen Leben Geschwister sind, dominieren ihre Mutter Pascale (Isabelle Huppert), als wären sie die Eltern und die Mutter das Kind. Die eingespielte Praxis dieser verkehrten Beziehungen hat zu einer Art Regression geführt, in der sich die Protagonisten gegenseitig in ihrer möglichen Entwicklung hemmen.



Joachim Lafosse, der zu diesem Thema von der eigenen Familiengeschichte angeregt wurde, inszeniert seine Figuren deshalb als Gefangene. Förmlich eingeschlossen wirken sie im engen Bildausschnitt langer, konzentrierter Plansequenzen. Alle Handlungen, die die Bilder  räumlich und zeitlich öffnen oder erweitern könnten, sind ausgespart. Die Implosion des gestörten Familiengefüges scheint daher unvermeidlich, wobei die zunehmende Anspannung zwischen den Figuren schließlich in offene Aggressionen mündet. Das Versäumnis, die selbstgesetzten Grenzen zu überwinden, führt zwangsläufig zu einem zerstörerischen Chaos im Innern der Gruppe und zu gegenseitiger Zerfleischung.



Schon Pascales prüfender Blick in den Spiegel am Beginn von „Nue propriété“, der beharrlich die weibliche Attraktivität abschätzt und auf den Beifall der Söhne spekuliert, kündet von verschobenen Kräfteverhältnissen. Was jedoch zunächst noch als kumpelhaftes, freizügig verspieltes Geplänkel zwischen einer Mutter und ihren Kindern erscheint, erweist sich bald als tiefgreifende Störung. Äußerlich erwachsen, benehmen sich Thierry und François wie kleine Kinder: Sie sind einerseits unselbständig und unfähig, sich von ihrem Elternhaus zu lösen, während sie andererseits aggressiv ihre Mutter bevormunden. Die emotional und materiell ausgebeutete Pascale wiederum scheint sich auf den ersten Blick lustlos und entkräftet der verordneten Isolation zu fügen. Tatsächlich plant sie jedoch gemeinsam mit ihrem Liebhaber Jan (Kris Cuppens), der gegenüber den Söhnen einmal ihr Recht auf ein eigenes Leben reklamiert, den Ausstieg und einen Neubeginn. Doch ihre Gefühlslage, in die noch ihr Ex-Ehemann Luc (Patrick Descamps) hineinspielt, ist kompliziert und eine Verständigung zwischen allen Beteiligten kaum mehr möglich.





1. Dezember 2008

Wolfgang Nierlin

Medienforum Heidelberg e.V.
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